Ja, der Herbst hat wieder einmal Einzug gehalten mit seinen kürzeren Tgen und viel Nebelgrau. Da war es einen schöne Gelegenheit, progonostizierte sonnige Herbsttage noch für einen ausflug zu nutzen. Prag war das Ziel. Die tschechische Hauptstadt lockt mich in der Hauptsaison so gar nicht, ist sie zwar wunderschön, aber ebenso heillos überrannt.
Es hat sich etwas Enttäuschung breit gemacht, als die bequeme Bahn sich Prag näherte und der Nebel dichter und dichter wurde, so war das ja nicht vereinbart.
So sieht er also aus, der Wenzelsplatz, wenn Nebel über der Stadt hängt. Bei dieser Stimmung hat das mächtige Nauwerk des Nationalmuseums schon fast etwas bedrohliches an sich.
Auch das Nationaltheater (Národní divadlo) strahlt nicht so recht. Erst beim Überqueren der Moldau lichtet sich mein Ärger etwas, das Nebelgrau entspricht zwar nicht meinen Erwartungen, schafft aber doch eine schöne herbstlich-gedämpfte Atmosphäre.
Gleich über der Moldau begleitet eine Hügelkette den Fluss. Am bekanntesten ist der Hradschin mit der Prager Burg. Nordöstlich ist der Letná ein beliebtes Ausflugsgebiet, ich wollte auf den südlich der Prager Burg gelegenen Petřín-Hügel (die deutsche Bezeichnung ist Laurenziberg). Bequem wäre es mit der Petřín-Standseilbahn, die aber fuhr gerade diese Wochen wegen Revisionsarbeiten nicht. Das hatte ich ja wirklich toll geplant, mich zu Fuss auf den Hügel zu schwitzten, von wo dann im Nebel kaum eine Aussicht besteht. Um es positiv zu sehen, es war ein schöner Spaziergang durch den Park mit viel buntem Herbstlaub. Die Besteigung des dem Pariser Eiffelturm nachempfundenen Aussichtsturms (60m) ersparte ich mir aber doch, mehr als Nebel wurde dort auch nicht geboten, bei geeigneter Sicht wäre das sicher ein fantastischer Blick.
Ganz ohne Bedacht war der Hügel aber nicht gewählt, denn nahezu eben geht von dort der Weg zum Kloster Strahov, das vielleicht nicht zufällig oberhalb der Prager Burg liegt. Mit vollem Namen heißt das Kloster Königliche Kanonie der Prämonstratenser vom Strahov. Auch hier schwingt der Bezug zum nahen Schloss der Böhmischen Könige mit, seit der Gründung um 1140 gehörte es immer zu den einflussreichsten und wirtschaftlich reichsten Klöstern Tschechiens. Durch Brände und Kriegszerstörungen gab es immer wieder Rückschläge, die aber stets wieder mit neuer Pracht gefüllt wurden. Aufgrund der Baugeschichte finden sich spätgotische Reste, der überwiegende Teil stammt aus der Barockzeit. Am Weg zum Kloster lugt der Veitsdom durch das Laub.
Bekannt ist Strahov für seine umfangreiche und wertvolle Bibliothek. Ab 1671 wurde der Prunksaal, der heute „Theologischer Saal” heiß, errichtet.
Bis 1790 erbaute man den „Philosophischen Saal”. Er beinhaltet die komplette Bibliothek des im Zuge der Reformen Josephs II. aufgelösten Klosters Louka (deutsch Klosterbruck) in Znaim. Der Saal wurde eigentlich um die älteren Bücherregale gebaut.
Zu den größten Schätzen des Kloster gehört das Strahov-Evangeliar, eine 222-seitige Bibelschrift verfasst um 860 in Tours und um 980 vom sogenannten Meister des Registrum Gregorii in Trier mir Bildschmuck versehen. Ausgestellt ist nur eine Replik.
Natürlich gibt es in einer solch alten und umfassenden Bibliothek noch viele weitere Schätze.
Um einen der Innenhöfe ist das Museum angeordnet, in dem neben prächtigen Räumlichkeiten wie Sommer- und Winterrefektorium wundervolle Kunstschätze gezeigt werden.
Zu den bedeutenden Austellungsstücken gehört ein Kreuz, das um 1330 erschaffen wurde, das Přemyslidenkreuz. War bis dahin der Typus des Christus als König und Sieger (lat. crux triumphalis) weitverbreitet, so trat im 14. Jahrhundet im Zuge von mystischen Strömungen als Reaktion auf die „Ketzer” (es gab vermehrt kritisches Hinterfragen und die Inquisition) nun Christus als leidender Schmerzensmann (Kruzifix dolorosum). Nur wenige dieser frühen Kreuze dieses Typus sind erhalten, im Rheintal und in der Erzdiözese Salzburg (Nonntal, Friesach).
Es befinden sich in der Dauerausstellung des Kloster überhaupt viele alte Kunstwerke, die Stücke aus der Gotik überwiegen jene des Barock bei Weitem.
Ein kleine Pause im Gastgarten mit großartigem Ausblick, dann ging es wieder talwärts.
Man merkt den Herbst, die Sonne stand schon tief, als ich das Kloster Strahov verließ und langsam hinunter zur Prager Burg wanderte. Etwas dunstig war die Luft noch, aber in der in goldenes Licht getauchten Stadt waren die Brücken undKirchen deutlich zu sehen. So ruhig und friedlich war es dort oben.
Der Weg führte an den Palais des einstigen Hochadels vorbei, die sich hier nahe am böhmischen Machtzentrum angesiedelt hatten. Schon beim Zutritt zu den Höfen der Prager Burg gilt es eine Sicherheitskontrolle zu passieren, schließlich ist sie neben dem historischen Wert auch Sitz des tschechischen Staatspräsidenten. Besichtigungsprogramm hatte ich mir keines vorgenommen, ich wollte nur ein paar Eindrücke dieses mächtigen Schlosskomplexes sammeln, der ab dem Jahr 900 immer wieder umgebaut und erweitert worden ist. Ein Schloss mit stetiger 1000-jähriger Geschichte, 400 Jahre war es Sitz der habsburgischen Könige.
Inmitten der Schlossanalge ragt der Veitsdom auf. Ab 1344 wurde am Bau der Kathedrale gearbeitet, die auch Krönungskirche der Könige war. Im 16. Jhdt. nach den Hussitenkriegen kam die Bautätigkeit weitgehend zum Erliegen. Spätgotisch sind der Chor und der Hauptturm. Im Jahr 1861 begann man mit dem Weiterbau, der 1929 abgeschlossen wurde.
Die ruhige Stimmung über die Moldau auf den Fotos trügt, ab der Karlsbrücke und durch die Innenstadt herrschte ein dichtes Gedränge, selbst an den späten Oktobertagen. Jeder einzelne Tourist hat vollkommen recht, sich diese wunderschöne Stadt nicht entgehen zu lassen, in der Summe sind es aber zu viele Besucher. Das alte Stadtzentrum hat komplett seinen Flair verloren, es ist ausschließlich Touristenzone.
Nach dem üppigen Frühstück suchte ich wieder das Ufer der Moldau auf. Schon am Morgen kündigte sich ein sonniger Herbsttag an, da ist es leicht von Freude erfüllt zu sein. Nachdem ich einige Sonnenstrahlen auf der Moldaubrücke aufgeschnappt hatte, begab ich mich wieder zu einem Kloster. Ab ungefähr 1230 entstand das Agneskloster als doppelte Klosteranlage der Franziskaner und Klarissinnen. Nur wenige Jahre nach der Gründung trat eine Tochter des böhmischen Königs Wenzel I. Přemysl in das Kloster ein, die Agnes von Böhmen (1211–1282) wird als Heilige verehrt. In seiner Blütezeit umfasste die Anlage sieben Kirchen und zwei Kreuzgänge. Bei archäologischen Grabungen konnten einige Gräber aus der Königsdynastie der Přemysliden gefunden werden, darunter auch jenes der Hl. Agnes. Nach einer wechselvollen Geschichte wurde das Kloster 1782 unter Joseph II. aufgehoben. Die verbliebenen Gebäude, darunter zwei Kirchen und der Kapitelsaal, bieten der Sammlung der mittelalterlichen sakralen Kunst (1200–1550) der Prager Nationalgalerie passende frühgotischen Ausstellungsraum.
Die Ausstellung ist sehr umfassend und ebenso hochrangig. Die Bilder sind auch auf Flickr hochgeladen, dort ist jedes einzelne Foto mt einer kurzen Beschreibung versehen, das erspare ich mir hier. Als Beispiel will ich den um 1330 entstandenen Tafelbildzyklus von Hohenfurth erwähnen, gotische Kunst in höchster Vollendung.
Bisher konnte ich in Prag immer alle Wege zu Fuss zurücklegen, nun benutzte ich erstmals auch die Metro. Ich wollte an den westlichen Stadtrand zu einem 1530 für Kaiser Ferdinand I. erbauten Jagdschloss. Der kurze Spaziergang durch den herbstlich gefärbten Park war ein Vergnügen, das Schloss auch interessant. Der Name des Schlosses Stern verrät seine Besonderheit. Das Renaissanceschloss hat als Grundriss einen sechszackigen Stern, ein für ein Bauwerk doch seltene Formgebung. Die Raumaufteilung und Stiegenhäuser sind aber sehr kreativ genutzt. Die Räume im Erdgeschoss weisen hübsche Stuckaturen auf, im Dachgeschoss wurde ein modernere Veranstaltungs- und Konzertsaal eingerichtet. Für die Ausstellung zur tschechischen Literatur im ersten Obergeschoss hatte ich weniger Interesse, dazu fehlt mir das Fachwissen, es mangelt an grundlegendem Sprachverständnis.
Interessanter ist die kleine Ausstellung im Keller zu einer entscheidenden Schlacht, die am Hügel gleich nebenan statt fand. Die im Jahr 1620 erfolgten Kampfhandlungen der Schlacht am Weißen Berg waren für das Schicksal Tschechiens in den kommenden Jahrhunderten prägend. Die böhmischen Stände hatten sich dem Potestantismus zugewandt und den Kurfürsten von der Pfalz Friedrich V. mit der Wenzelskrone zum König erhoben. Nach nur einem Jahr an der Macht zogen die Truppen des habsburgischen Kaisers Ferdinand II. und die verbündeten bayrischen Truppen (katholische Liga) vor Prag auf, um den Thronanspruch durchzusetzen. Tausende Soldaten ließen am Schlachtfeld ihr Leben, die siegreichen Habsburger zogen die Güter der aufständischen Adeligen ein und verteilten die Pfründe an treue Gefolgsleute. Eine massive Umverteilung zugunsten weniger nun sehr mächtiger kaisertreuen Adelsfamilien sorgte für starken Einfluss bis zum Ende der Monarchie. Die katholische Kirche war der zweite Gewinner dieser Schlacht, Böhmen wurde ungnädig rekatholisiert, die Klöster erhielten ihre Ländereine und damit ihre Machtstellung zurück. Diese Geschehnisse wirkten lange nach und waren mit ein Grund, wieso das katholische Ungarn im Habsburgerrreich (k.u.k.) eine wesentlich bessere Stellung erhielt als die „verdächtigen” Böhmen und Mähren. Der Dreissigjährige Krieg war mit der Schlacht am Weißen Berg aber nicht entschieden, sondern stand erst am Anfang.