Der Frühling naht und im Dienstplan fanden sich einige freie Tage, da musste ich doch unbedingt etwas unternehmen. Wohin also kurzfristig? Ein günstige Flugverbindung nach Pisa bot sich an und war auch rasch gebucht. Wie schön war dann das Gefühl, aus dem Flugzeugfenster hinaus zu schauen, wie die schneebedeckten Berge Tirols verschwanden und bald danach das Ligurische Meer unten glänzte.
Der Flughafen Pisa (Aeroporto Galileo Galilei) hat gegenüber anderen Großstadtflughäfen einen enormen Vorteil, er liegt sehr nah an der Stadt. Seit wenigen Wochen verkehrt eine PisaMover genannte Standseilbahn, mit der man super praktisch alle 10 Minuten in nur 5 Minuten Fahrzeit (mit einem Zwischenhalt) zum Bahnhof Pisa Centrale gelangt.
Von Pisas Hauptbahnhof wird die Toskana ganz gut erschlossen. Ich wollte ja nach Lucca, wohin ungefähr alle 30 Minuten eine Zugverbindung besteht. Also auch kein Problem und auch keine Geduldsprobe. Ausserdem war ich ja auf kleiner Urlaubsreise, und durch die Hügellandschaft der Toskana zu fahren ist einfach schön. Obwohl es von Lucca gar nicht mehr weit zu den Gipfeln des Apennin ist, die bis über 2000 m aufragen.
Lucca ist ja bekannt für die mächte Stadtmauer, die perfekt erhalten die Stadt umfängt. Diese sieht man sofort nach der Ankunft, liegt der Bahnhof ja unmittelbar davor. Durch eines der alten Stadttore befand ich mich rasch in der Altstadt. Der erste Platz auf den man gelangt, er ist auch der größte Luccas, ist der Piazza Napoleone. Er ist von langgezogenen Verwaltungsgebäuden mit Renaissance-Fassaden, wie dem Palazzo Ducale, umsäumt, unter den schattenspendenden Bäumen lässt sich eine erste Rast einlegen und das Ambiente erfassen.
Lucca besteht aus einem Netz von engen Gassen, aus denen der Autoverkehr weitgehend ausgesperrt ist. Auch weil die alte Bausubstanz kaum gestört ist, ist es ein echtes Vergnügen durch die Gassen zu spazieren. Das Stadtbild ist weitaus harmonischer als beispielsweise in Florenz. Verirren kann man sich kaum, die auf dem Layout der Römerstadt basierende Straßenanordnung führt einem immer wieder auf eine der beiden Hauptstraßen zurück. Aber gerade die engen Gassen schaffen diese schönen Momente, wenn sie sich wieder auf einen größeren oder kleineren Platz öffnen. Diese gibt es vor Kirchen oder anderen wichtigen Gebäuden, wie dem größten Theater der Stadt, dem Teatro del Giglio. Stolz ist man auf einen Sohn der Stadt, der Komponist Giacomo Puccini (1858–1924) verbrachte einen Großteil seines Lebens in Lucca. Natürlich schmückt eine Statue den Platz neben seinem Geburtshaus. Der Geiger und Komponist Niccolò Paganini, seine erste feste Anstellung war die als Konzertmeister im Orchester der Republik Lucca. Keine Spur habe ich von dem ebenfalls aus Lucca stammenden Luigi Boccherini (1743-1805) gefunden.
Meist ist es nur eine Randnotiz am Ende meiner Berichte. Dabei ist es mir sehr wichtig und macht die Reisen immer erst zum ausgewogenen Vergnügen. Natürlich freue ich mich immer auf beeindruckende Kunstschätze, aber erst die entspannten Mußestunden als Gegengewicht, um nicht abgehetzt heimzukehren, schaffen die notwendige Ruhe, damit die vielfältigen Eindrücke auch wirken können. Viele der bleibenden Eindrücke entstehen aber auch erst, wenn ich gemütlich bei einem Caffè oder Vino die Umgebung beobachte. Und da ist Italien wirklich bestens geeignet, in Ruhe zu genießen.
Ein besonderer Platz findet sich am nördlichen Rand der alten Römerstadt. Dort hatten die Römer ihr Amphitheater. Die verbliebene steinernen Fundamente und Grundmauern wurden in späterer Zeit verwendet, um einen Marktplatz anzulegen, der exakt die ovale Form der Arena hat (die war 2 m tiefer). An den Rückseiten der Häuser finden sich noch die Bögen der römischen Anlage. Tagsüber herrscht lebendiges Treiben. Für Touristengruppen gehört er zum Pflichtprogramm, Kinder spielen, in den Lokalen ringsum herrscht Hochbetrieb. Stimmungsvoll wird es am späten Abend, wenn man kurz fast allein am stillen Platz verweilt.
Ein Reiseführer hat extra darauf hingewiesen, dass man Lucca bei Tag und bei Nacht erleben muss. Es stimmt. Tagsüber kann es in den engen Gassen schon mal eng werden, wenn sich die zahlreichen Radfahrer an Reisegruppen vorbeiquetschen und man selbst auch noch unversehrt durchkommen will. Ganz anders ist es zur späteren Abendstunde. Es ist still, man fürchtet nahezu, mit den Geräusch der Schritte zu viel an Aufsehen zu erregen. Es ist wie eine Zeitreise, durch die einsamen Gassen vorbei an den Jahrhunderte alten Gebäuden zu streifen. Wunderschön.
Im ausgehenden 12. Jahrhundert wurde die dem Hl. Martin geweihte Kathedrale errichtet. Man griff das bewährte Muster auf, erbaute eine romanische Ziegelkirche auf kreuzförmigen Grundriss, dekorierte mit vielen Blendbögen und schloss portalseitig mit einer Schaufassade aus weißem Carrara-Marmor ab. Was wenig spektakulär klingt, wird erst im Detail zu einer aussergewöhnlichen Schöpfung. Die Fassade verdient Zeit für eine eingehende Betrachtung, die Vielzahl an Variationen der Säulen der Galerien könnte man übersehen. Auch hier griff man auf Spolien zurück, viele der Bauteile könnten von einer langen Geschichte berichten, ehe sie teilweise sogar auf dem Seeweg nach Italien kamen.
Das Altarbild einer Seitenakpelle stammt von Jacopo Tintoretto, der vor 1550 das Letzte Abendmahl schuf.
Für alle Kirchen in Lucca war Eintritt zu entrichten. Dafür war der Aufstieg auf den Campanile inbegriffen. Geschätze 30 m über Treppen aus Gitterrost in die Höhe zu steigen, das tut meinem Magen und den Knieen nicht gut, da war ich rasch wieder auf sicherem Boden zurück.
Die der Reparata geweihte Kirche nahe bei der Kathedrale kann auf eine lange und wechselvolle Geschichte zurückblicken. Der erste Kirchenbau entstand bereits im 4. Jahrhundert. Bis zum Bau von San Martino war das die Kathedrale von Lucca. Im 8. Jahrhundert wurde an die Kirche die dem Hl. Johannes geweihte Taufkapelle angefügt, das einzige Baptisterium in der Stadt. Im 12. Jahrhundert wurde die Kirche im romanischen Stil neu errichtet, wobei die Grundmauern der antiken Kirche beibehalten wurden. 1393 erhielt das Baptisterium seine charakteristisch hochgezogene Kuppel, die angeblich Brunelleschi für jene des Doms von Florenz inspiriert haben soll. Im 17. Jhdt. wurde die Fassade barockisiert, wobei das romanische Portal aber unverändert erhalten wurde.
Im Jahr 1969 wurde der Kirchenboden geöffnet und archäologische Grabungen durchgeführt. Dabei fanden sich im Baptisterium das Taufbecken aus der Entstehungszeit, darunter kamen die Reste einer römischen Badeanlage ans Licht. Im Hauptschiff fanden sich neben Gräbern aus der Langobardenzeit auch drei Brennöfen aus der Bauzeit des 12. Jhdts. Der für den Bau benötigte Kalk schein direkt vor Ort gebrannt worden zu sein, auch dürften die Glocken direkt in der Kirche gegossen worden sein, bevor man den Boden pflasterte. Unter der Apsis fand sich eine Krypta, in der Reiquien des Hl. Pantaleon aufbewahrt wurden. Diese archäologischen Grabungen wurden nicht wieder verschüttet, sie sind seit 1992 unter einem eingezogenen Zwischenboden zugänglich.
Diesen Kirchturm habe ich dann erstiegen und den fantastischen Ausblick genossen.
Der Namenszusatz weist schon darauf hin, dass sich die Kirche am Platz des ehemaligen römischen Forums befindet. Auch sie stammt aus dem Bauboom des 12. Jahrhunderts. Auch hier findet sich im Erdgeschoßbereich wieder die typische Dekoration, wie sie in der Zeit der Romanik in der Toskana eingesetzt wurde: Blendarkaden, Rautenmuster aus Marmor und an der Portalseite mehrere Ebenen von vorgestellten Galerien. Als Besonderheit wurde an der dem Platz zugewandten Südseite auch an der Längsseite im oberen Geschossbereich eine schmucke Zwerggalerie gebaut. Es lohnt sich aber wie beim Dom nicht nur das Gesamtbild zu bestaunen, sondern sich auf die Details einzulassen. Kaum eine der kleinen Säulen gleicht der anderen, viele davon sind Spolien, Teile also, die schon vorher an anderen Bauwerken eingesetzt waren und die teils aus der römischen Antike stammen. Der Innenraum war leider wegen Sanierungsarbeiten nicht zugänglich.
Diese Basilika wurde im frühen 12. Jahhundert im strengen romanischen Stil nahe an der nördlichen Stadtbefestigung errichtet. wegen der Örtlichkeit wurde die Kirche unüblicherweise nach Westen ausgerichtet. Als etwa 100 Jahre nach der Erbauung das Hauptschiff um einige Meter erhöht wurde, ergab das eine seltsam wirkende Giebelfläche an der Hauptfassade, die mit einem Mosaik der “Himmelfahrt Christi” geschmückt wurde. Weithin erkennbar ist die Kirche an dem Turm mit seltenem rechteckigen Grundriss.
Drei Heilige der römisch-katholischen Kirche fanden in dieser Kirche ihre Grabstätte. Der Patron, Hl. Frediano war im 6. Jahrhundert Bischof in Lucca und ist unter dem Hauptaltar bestattet. Im 8. Jhdt. verstarb der Hl. Richard von Wessex auf der Durchreise durch die Stadt, sein mit einem kunstvollem Steinrelief geschmücktes Grabmal wurde in die Kirche verlegt. Im Jahr 1272 verstarb die Hl. Zita, die als wohltätige Dienstmagd stadtbekannt war. Ihr mumifizierter Leichnam wird als Reliquie in einem Seitenaltar ausgestellt.
Immer wieder sieht man den Turm beim Spaziergang durch die Gassen Luccas durchblicken. Auch in Lucca fand man viele dieser für die Toskana typischen Geschlechtertürme, die die wohlhabenden Familien errichten ließen, über 150 soll es davon in der Stadt gegeben haben. Dieser verbliebene 44 m hohe Turm der Familie Guinigi stammt aus dem 13. Jahhundert Im obersten Geschoss war früher die Küche untergebracht, auf der mit steineichen bepflanzten Dachterrasse wurde gespeist. Kulionarisch verwöhnt wird man heute nicht mehr, aber der Turm kann erklommen werden und bietet eine fantastische Aussicht. Die Kirchen ragen aus dem mit roten Tonziegeln gedeckten Dächermeer. Im Schein der Frühlingssone die Ruhe abgehoben und doch inmitten der Stadt zu genießen, nur unterbrochen von den freudig erstaunten Ausrufen der Neuankömmlinge ist einfach schön. Wie herrlich müsste es erst sein, mit Brot, Käse und Rotwein da oben den Sonnenuntergang erleben zu dürfen.
Luccas Wahrzeichen ist ein 4 Kilometer langes Bauwerk. Als in der Renaissancezeit die Entwicklung der Schusswaffen voranschritt und die mittelalterlichen Stadtmauern dem Beschuss durch Kanonen keinen echten Widerstand mehr entgegensetzen konnten, beschloss man, das Großprojekt einer neuen Stadtbefestigung zu realisieren. Die neuen Mauern waren 15 m breit und wurden durch ein System aus Bastionen und Kurtinen verstärkt. Schon bald bemerkten auch die Bürger der Stadt, dass sie mit der mit Bäumen bepflanzeten Mauer nicht nur ein schützendes militärisches Bauwerk hatten, sondern auch eine Kombination aus Boulevard und Park. Und als solcher wird es bis heute genutzt, mit durch die Erhöhung immer wieder schönen Blicken auf/in die Stadt. Anderswo wurden die Mauern abgerissen, in Lucca erfreuen sich Einheimische und Touristen dieses Zeugen aus bedrohlicheren Zeiten. So kann die Stadt auch heute nur durch die vier Stadttore betreten werden.
Der Heimflug war praktischerweise erst am Nachmittag, trotzdem ließ ich nach dem Frühstück Lucca hinter mir. Nach der kurzen Bahnfahrt wollte ich mich noch in Pisa umsehen. Gedanklich meine ich die Stadt zu kennen, bei genauer Überlegung liegt der Besuch auch schon im Jahr 1995 zurück. Vom Bahnhof muss man die gesamte Altstdt durchqueren, die in der Mitte vom aus Florenz kommenden Arno durchflossen wird, um zur im Nordwesten gelegenen Piazza dei Miracoli zu gelangen.
Die Piazza dei Miracoli ist tatsächlich ein Platz der Wunder, was der Begriff übersetzt bedeutet. Im 11. Jahrhundert wurden auf der Wiesenfläche die Bauten errichtet, die man mit Pisa assoziiert. Der Dom Santa Maria Assunta, das Baptisterium, der Friedhof Camposanto Monumentale und der Campanile, der als Schiefer Turm von Pisa Berühmtheit erlangte. Das mit dem grünen Rasen kontrastierende mittelalterlich-romanische Ensemble aus weißem Carara-Marmor ist tatsächlich ein harmonisches Meisterwerk. Das hat auch die UNESCO so befunden und den Platz zum Weltkulturerbe erhoben.
Der Dom wurde im 11. Jahrhundert begonnen. Pisa war ebenso wie Venedig eine reiche Seehandelsstadt, der Triumph über die Sarazenen brachte zusätzliche Reichtümer, die zum prunkvollen Ausbau der Städte verwendet wurde. Venedig baute am Markusdom, Pisa begann seine der Maria Himmelfahrt geweihte Domkirche. Durch die Kontakte beider Städte in den östlichen Mittelmeerraum weisen beide im Inneren Anlehnungen an byzantinischen Kirchenbau und islamische Moscheearchitektur auf. In Pisa war der kreuzförmige Grundriss mit der erst später vollendeten Kuppel eine Neuerung, aussen blieb man bei den typisch romanischen Blendarkaden, denen teilweise eindrucksvolle Loggien vorgestellt sind.
Im Jahr 1152 begann man mit dem Bau der Taufkirche (Baptisterium), der größten in der christlichen Welt. Das Erdgeschoss ist im Stil zum Dom passend romanisch ausgeführt. Die Arbeiten zogen sich dann aber bis gegen Ende des 15. Jahrhunderts hin, als die mächtig Kuppel das Bauwerk abschloss. So kam es, dass der obere Fassadenbereich mit fein gearbeiteten gotischen Blendarkaden geschmückt wurden, die dem wuchtigen Bauwerk eine gewisse Leichtigkeit verleihen.
Der Innenraum wird von 12 Säulen geteilt, einer symbolischen Zahl. Das achteckige Taufbecken und die auf sieben Säulen ruhende Kanzel stammen aus dem 13. Jahrhundert.
Im 13. Jhdt. wurde mit dem Ausbau der Analge des “monumentalen Friedhofs” am Gelände gleich neben dem Dom begonnen. Im langgestreckten frühgotischen Kreuzgang wurden die spätantiken Sarkophage, in denen sich der pisantinische Adel bestatten ließ und die zuvor rund um die Domkirche aufgestellt waren, gesammelt. Bis ins 20. Jahrhundert wurden weitere Grabdenkmäler hinzugefügt. Die Wände sind mit eindrucksvollen Fresken geschmückt, die leider durch Bombentreffer im 2. Weltkrieg erheblichen Schaden nahmen. Drängen sich am Domplatz auch die Besuchermassen, so ist dieser harmonische Friedhof ein ruhiger und besinnlicher Ort, an dem man beim Rundgang zur Ruhe kommt.
Zuletzt das unbestrittene Wahrzeichen von Pisa - der Schiefe Turm. Im Jahr 1161 wurde der Grundstein für den freistehenden Kirchturm (Campanile) zum turmlosen Dom gelegt. Dass man am wenig tragfähigen Grund am Rand des in der Antike versandeten Hafenbeckens baute bemerkt man spätestens, als man das dritte Obergeschoss erreicht hatte und sich der Rumpf bereits geneigt hatte, er ist buchstäblich im Untegrund eingesunken. Nach einer Bauunterbrechung von ungefähr 100 Jahren wagte man sich an den Weiterbau, mit einem Knick versuchte man, die Auslenkung zu korrigieren. Aus den geplanten 100 m Höhe wurden es dann nur 55 m, und trotz des Knicks ragt die Oberkante fast 4 m über den Grundriss hinaus.
Als ich den Turm 1995 zuletzt besuchte, war er wegen Einsturzgefahr gesperrt. Mit komplizierten Sanierungsmaßnahmen wurde er seither durch schräge Kernbohrungen in den Untergrund um ca. 1,5 Grad aufgerichtet und bei ca. 4 Grad Neigung stabilisiert. Er kann nun wieder bestiegen werden, ohne langfristige Voranmeldung auf eine 15 minütigen Zeitbereich hin bleibt man allerdings chancenlos. Auch die Glocken schlagen nun wieder regelmäßig Der schiefe Schiefe Turm ist aber auch von unten, besonders im Kontrast zum Dom, ein erstaunliches Erlebnis.
Bemerkenswert ist er aber nicht nur als schräge Konstruktion, sondern auch seine hübsche architektonische Gestaltung. Der für die Toskana untypische Zylinder aus 14 000 Tonnen weißem Carrara-Mormor mit seinen schlanken Säulen und den 30 Arkadenbögen war eine durchaus eigenwillige Idee der spätromanischen Baumeister.
Bis bald wieder, bella Italia!